Als turn*left haben wir uns an den Blockupy-Protesten vom 18. März in Frankfurt/Main beteiligt. An dieser Stelle wollen wir eine kurze politische Nachbereitung des Tages aus unserer Perspektive teilen, und dabei sowohl den eigenen Diskussionen in der Gruppe wie auch mit befreundeten Gruppen und Genoss_innen Rechnung tragen.
Deutschland du mieses Stück Scheiße!
Jetzt, etwas mehr als vier Monate später, hat sich einmal mehr in aller Deutlichkeit gezeigt, welche Brisanz Protest und Widerstand gegen die autoritäre Krisenpolitik unter deutscher Ägide hat.
Die deutsche Regierung ist maßgeblich mitverantwortlich für eine rigide Austeritätspolitik, die in südeuropäischen Staaten, wie Spanien oder Griechenland, zu einem massiven Sozialabbau, einer Prekarisierung breiter Bevölkerungsschichten und den damit einhergehenden drastischen sozialen Folgen führt. Der faktische Zusammenbruch des Gesundheitswesens für weite Teile der Bevölkerung in Griechenland spricht eine deutliche Sprache. Die Austeritätspolitik der Troika aus IWF, EZB und EU, welche unter deutscher Federführung in Ländern des europäischen Südens implementiert wird, hat Elend, Armut und in letzter Konsequenz Tote zur Folge.
Mit einer unmissverständlichen Machtdemonstration in den letzten Wochen hat die deutsche Regierung ihren autoritären Führungsanspruch in der europäischen Politik geltend gemacht. Mit der Politik gegenüber der aktuellen griechischen Regierung, die völlig zu Recht als Erpressung und Versuch eines Putsches qua ökonomischem Druck beschrieben werden kann, hat sich Deutschland mal wieder von seiner hässlichen Seite gezeigt. Gerade deshalb ist die Debatte um Blockupy als ein transnationaler Ort von Protest und Widerstand für ein gutes Leben so dringlich wie eh und je. Um vielleicht dem Resümee am Ende des Textes vorzugreifen: Die aktuellen Entwicklungen haben eins klar gemacht:
Es braucht mehr von dem, was wir am 18. März gesehen haben. Es braucht ein, zwei… viele Aktionstage wie diesen. Welche Perspektive wir auf den Tag haben bzw. welche weitergehende Perspektive wir darin sehen, das möchten wir im Folgenden darlegen. Und zwar ganz bewusst mit dem Anspruch, dass die Rückschau gleichzeitig auch ein Blick nach vorne bedeutet.
Just another day in Frankfurt?
Nach unserer Meinung hat der 18. März vor allem eines gezeigt: Die Wut über die autoritäre Machtpolitik der Troika, über die prekären Zustände, die daraus resultieren, über eine zunehmende Entdemokratisierung und autoritäre Verwaltung sozialer Missstände – all das hat sich auf Frankfurts Straßen gezeigt. Der Unwille, die oftmals proklamierte Alternativlosigkeit einer kapitalistischen Ordnung der Dinge einfach hinzunehmen, hat am 18. März in Frankfurt und der BRD Widerhall gefunden. Das deutliche Nein zu dieser Politik und das Begehren nach einer Alternative, beziehen sich aber nicht nur auf die Situation in Spanien, Griechenland oder Italien. Auch diverse soziale Auseinandersetzungen innerhalb der BRD fanden an diesem Tag ihren Ausdruck. Diese Kämpfe finden zwar nicht in der Intensität und Häufigkeit statt wie am südlichen Rand der EU, doch auch die sozialen Verhältnisse hier sind umkämpft.
Das deutsche Kapital und mit ihm Teile der Mittelklasse, vor allem die Kernbelegschaften in der Industrie, kommen bisher relativ gut durch die Krise. Doch die Rhetorik aus Politik und Wirtschaft, welche das „Modell Deutschland“ als Gewinn für alle hier lebenden Menschen verkaufen möchte, verdeckt die Tatsache, dass die sozialen Verhältnisse auch hier für viele Menschen zunehmend prekär sind. Der Umbau des Arbeitsmarktes und Sozialsystems mit der Agenda 2010, die Finanzialisierung des Wohnungsmarktes, die Privatisierung vieler öffentlicher Betriebe (Wasser, Nahverkehr, Wohnen, Energie…), die Umgestaltung der Hochschulen und der aktuelle Angriff auf (basis)gewerkschaftliche Organisierung sind nur einige Beispiele für die neoliberale Umgestaltung der gesellschaftlichen Bereiche auch in der BRD. Soziale Konsequenzen dieser Politik und Wirtschaftsordnung sind schlechte Arbeitsbedingungen, steigende Mieten oder erhöhte Fahrpreise im öffentlichen Nahverkehr. Gerade die Kürzung von Sozialleistungen führt tendenziell zu einer Reprivatisierung von Reproduktionsarbeiten. Das heißt die Sorge um Pflege- und Hilfebedürftige, sei es Kindererziehung, Alten- oder Krankenpflege, wird zunehmend ins Private oder als Dienstleistung in den Niedriglohnsektor verlagert. Dies führt zu einer Stabilisierung der sexistischen Arbeitsteilung, in der vor allem Frauen*, entweder unbezahlt oder eben schlecht bezahlt im Niedriglohnsektor, für das Schmeißen des Haushalts und das Wohlergehen der eigenen oder fremden Familienmitglieder zuständig sind.
Die fabelhafte Welt des Widerstands
Entsprechend diente der Aktionstag am 18. März auch als Rahmen, um die vielfältigen sozialen Kämpfe zum Ausdruck zu bringen. Während sich der Fokus der Medien auf die Ausschreitungen richtete, wurden in ganz Frankfurt starke Akzente gesetzt: Antimilitarist_innen markierten die Rüstungskonzerne Diehl und ThyssenKrupp mit Transparenten und Spray-Parolen; Kletteraktivist_innen erklommen das Skyper-Hochhaus in der Innenstadt, um auf die katastrophale Umweltzerstörung durch die kapitalistische Produktion hinzuweisen (ein Thema, das auch auf der Großkundgebung am Römer starken Widerhall fand); die Demonstration am Abend wurde von einem feministischen Block angeführt, der die „unsichtbare“ Reproduktionsarbeit und den Druck auf die zwischenmenschlichen Beziehungen unter kapitalistischen Bedingungen thematisierte und eine feministische Widerstandsperspektive stark machte; auch gewerkschaftliche Auseinandersetzungen, wie zum Beispiel die kämpferischen Arbeiter_innen von Amazon, die seit dem Frühjahr 2013 im Arbeitskampf stecken, fanden ihren Ausdruck auf den Straßen Frankfurts. Diese Aufzählung steht beispielhaft für viele verschiedene Kämpfe, die auch nach dem 18. März weitergeführt werden. Dabei sehen wir es als einen politischen Gewinn an, dass so viele verschiedene Gruppen mit ihren Zielen und mit ihrer Kritik am Bestehenden an diesem Tag zusammenkamen – weil es eine Kostprobe war, wie Widerstand aussehen kann, wenn Kämpfe nicht vereinzelt, sondern sich gegenseitig bestärkend zusammenlaufen.
Der 18. März hat in vielerlei Hinsicht für Aufregung gesorgt: Viel ist passiert und viel war an diesem Tag in Bewegung – das finden wir gut! Es ist super, dass in aller Frühe um 6 Uhr bereits an die 6 000 Aktivist_innen an den Blockadeaktionen teilgenommen haben und es zu unterschiedlichen widerständigen und militanten Aktionen kam. Großartig war es zu sehen, dass angesichts der Ereignisse am Morgen mehr als 25 000 Demonstrant_innen bei der Abschlussdemonstration am frühen Abend zusammenkamen und sich nicht spalten ließen, um sich gemeinsam für einen solidarischen Gegenentwurf zur herrschenden Politik stark zu machen. Dies begreifen wir als einen sichtbaren Erfolg. Es ist ermutigend, dass zur Zeit nicht nur rechte, reaktionäre und rassistische Kräfte, wie Pegida und Konsorten, an Oberwasser gewinnen, sondern es ganz offensichtlich auch Menschen gibt, die ein Zeichen der Solidarität jenseits bornierter Nationalismen und rechtskonservativer Gesellschaftsbilder setzen wollen. Schlussendlich liegt darin das Potential, dem reaktionären Mist etwas entgegenzusetzen.
We dance to all the wrong songs…! – Praktisches Empowerment
Mit Rückblick auf die Blockadeaktionen der vergangenen Jahre, sehen wir es außerdem als politischen Erfolg an, dass sich die Zahl derjenigen, die bereit sind an entschlossenen Aktionen des zivilen Ungehorsams und an Menschen- und Materialblockaden mitzuwirken, zunehmend vergrößert hat. Waren es 2012 noch ca. 3 000 Aktivist_innen, die bereit waren sich einer zur Aufstandsbekämpfung hochgerüsteten Polizei entgegenzustellen, so sind es 3 Jahre später doppelt so viele. Als Gruppe haben wir es selbst als ein Moment der kollektiven Selbstermächtigung wahrgenommen, dass so viele engagierte Menschen die geregelten Bahnen des „Ordentlichen“ und „Regulären“ verlassen haben, um gemeinsam den Widerstand sicht- und hörbar zu machen und einzustehen für eine effektive Störung des kapitalistischen Normalzustands in Frankfurt und der ganz alltäglichen Traurigkeit.
Als turn*left haben wir uns in den Morgenstunden des 18. März im Rahmen des grünen Fingers an der Blockade des EZB-Geländes beteiligt. Das Aktionskonzept für die Blockaden sah vor, bis zu den Schleusen, den gesicherten Zugangswegen zur EZB, als Finger zu gelangen und die Hindernisse auf dem Weg bis dorthin, gemeinsam und entschlossen zu überwinden. Haben wir es auch nicht geschafft die Anreise zur EZB-Party effektiv zu blockieren, so haben wir dennoch Momente von Protest und Widerstand sicht- und fühlbar auf die Straße gebracht und sind dem Polizeiapparat entschlossen entgegengetreten.
Uns kam es in Bezug auf das Fingerkonzept darauf an, dass sich möglichst viele Aktivst*innen an der Aktion beteiligen können, indem wir im Vorhinein verbindliche Absprachen getroffen und bei der Aktion im Rahmen des Blockupy-Aktionskonsens agiert haben. Die Verbindlichkeit und die Verlässlichkeit haben die Entschlossenheit an dem Tag ermöglicht. Für uns war dieses Konzept eine bewusste, solidarische und kollektive Grenz- und Gesetzesüberschreitung. In unseren Augen ist am 18. März, auch durch Blockupy, der Schritt von Protest hin zu Momenten des Widerstands getan worden. Dieser Erfahrungsraum, der sich dadurch eröffnet hat, tut gut und zaubert uns ein Lächeln auf die Lippen, wenn wir uns daran zurückerinnern. So ein Gefühl vergisst mensch nicht so schnell!
In diesem Sinne sehen wir die langfristige Wirkung solcher Großevents, wie den Aktionstag, genau darin, breit partizipierbare Formen der Militanz als offensive Konzepte des Widerstands zu etablieren, die sich an zivilem Ungehorsam und Grenzüberschreitungen bedienen. Heiligendamm 2007 und die Nazi-Blockaden in Dresden der vergangenen Jahre sind erfolgreiche Versuche, die wir da vor Augen haben. Es sind für uns keine aktionistischen Selbstzwecke, sondern Versuche, gemeinsam mit vielen anderen den Schritt vom Protest zum Widerstand zu gehen. Vom öffentlichen Widerspruch zum Versuch einer aktiven Veränderung zu kommen beinhaltet ein Moment des kollektiven und solidarischen Empowerments. Die Erfahrung, in gesellschaftliche Verhältnisse eingreifen zu können, verdeutlicht uns und anderen, dass diese nicht in Stein gemeißelt sind. Der Horizont des Möglichen wird ein Stück weiter.
… we enjoy all the wrong moves! – Message in a bottle
Am 18. März gab es allerdings bei Weitem nicht nur offensive Blockadeversuche durch Menschen und Material. Die Polizei wurde ziemlich offensiv angegangen. In den militanten Aktionen vom Morgen sehen wir gezielte Angriffe auf die Institutionen der staatlichen Repression. Das führte zu einer konkreten Beeinträchtigung der für die Kontrolle und Bekämpfung der Aktionen eingesetzten Polizeieinheiten. Mögen wir im Einzelnen über Sinn und Vermittelbarkeit verschiedener Aktionen streiten, so steht für uns dennoch außer Frage, dass es sich hierbei weder um unpolitischen „Krawalltourismus“ noch um reine „emotionale Ausbrüche“ von Aktivist_innen handelt. Vielmehr begreifen wir diese als bewusste Akte des Widerstands. Sie drücken sich in verschiedenen Formen aus, und das haben wir an dem Tag gesehen: Das reicht vom Durchbrechen der Polizeiketten, um dahin zu kommen, wo wir hinwollen, bis hin zur einen oder anderen kaputten Scheibe. Doch gemeinsam ist all dem, dass es die bürgerliche Gesellschaft und ihr Rechtssystem ins Mark trifft. Sie stellen das Gewaltmonopol des Staates in Frage, denn die militanten Aktionen stehen ihm in dem Moment als nicht verhandelbar und unversöhnlich gegenüber.
Allerdings – und hier halten wir eine Kritik für angebracht – gab es im Vorfeld der Blockupy-Aktionen einen Aktionskonsens, der mit der Breite der militanten Aktionen nicht mehr übereinstimmte. Wir wollen nicht jeder Aktion an diesem Morgen die Schablone des Aktionskonsens auflegen und sie auf ihre Kompatibilität hin prüfen. Auch ist der Aktionskonsens kein Vertrag, den die politischen Aktivist_innen zu unterschreiben und überall einzuhalten hätten. Vielmehr verstehen wir den Aktionskonsens als eine Ankündigung derer, die sich diesem zugehörig fühlen: Es war die Ankündigung zu einem bestimmten Zeitpunkt (18.03.), an einem bestimmten Ort (Treffpunkte, Wege zur EZB und Zaun der EZB) ganz bestimmte Aktionsformen (Mensch- und Materialblockaden, Durchfließen von Polizeiketten) anzuwenden. Das ermöglicht vielen sich im Vorhinein ihres eigenen Aktionslevels bewusst zu werden und sich mit entsprechender Vorbereitung an den angekündigten Aktionen zu beteiligen. Es bietet den Rahmen sich an neuen Formen des Protests auszuprobieren und sich an Momenten der kollektiven Selbstermächtigung zu beteiligen.
Durch eine unmittelbare und unabgesprochene Nähe von stark offensiven, militanten Aktionen zu den Strukturen, die sich innerhalb des Aktionskonsens (den Fingern) bewegten, wurden die in den Finger-Aktionen getroffenen Absprachen jedoch ignoriert. So haben bspw. die brennenden Bullen-Wannen am Ernst-Achilles-Platz viele Leute, die beim grünen Finger dabei waren, vor vollendete Tatsachen gestellt; entgegen des gemeinsam ausgehandelten Aktionskonzepts. Für viele Aktivist_innen, die sich bewusst für diese Form des politischen Widerstands innerhalb des Fingers entschieden hatten, stellte das ein Problem dar: sie konnten den von ihnen gewünschten politischen Ausdruck nicht geltend machen. Für uns bedarf es jetzt in der Nachbereitung also einer Reflexion über das Zusammengehen klandestiner Aktionen und der gezielten und offensiven Militanz mit den vorbereiteten und offen angekündigten Aktionen der partizipierbaren breiten Grenzüberschreitung, wie sie von Blockupy im Aktionskonsens festgehalten wurden.
Deutlich geworden ist im Ausmaß und der Vielfalt der Aktionen (von Massenblockaden bis hin zu brennenden Polizeifahrzeugen) vor allem eins: Die Menschen haben sich weder vom absurden Aufgebot der Polizei (nahezu alle verfügbaren Wasserwerfer der BRD und knapp 10 000 Polizist_innen waren vor Ort) einschüchtern lassen, noch war dieses Aufgebot in der Lage den Protest zu kontrollieren und den Normalvollzug auf den Straßen Frankfurts zu gewährleisten.
In der Rückschau auf die Ereignisse vom 18. März halten wir den strategischen und taktischen Bezug der verschiedenen Aktionen aufeinander für notwendig. Dabei darf die Aushandlung nicht aus dem Auge verloren werden. Das heißt für uns konkret, wann und wie ist es sinnvoll in unserem unterschiedlichen politischen Handeln und unseren Aktionen solidarisch zusammenzukommen.
The message is the bottle…!
Angesichts der Debatte um Blockupy und Gewalt, ist es wichtig festzuhalten, dass ein nicht unerheblicher Anteil von gezielten Falschmeldungen in Bezug auf die offensiv militanten Aktionen in der Öffentlichkeit kursierten. Dies zeigte sich beispielhaft anhand der vom Kolpingwerk lancierten Geschichte, nach der behauptet wurde, dass eine Flüchtlingsunterkunft (gezielt) angegriffen worden sei. Eine Diskreditierung der Proteste ist Teil der Strategie der politischen Gegner_innen. So entpuppte sich auch der angebliche Angriff auf 80 Polizeibeamt_innen mit ätzenden Flüssigkeiten wenig später als Folge des Trängengases der eigenen Kolleg_innen. Von fast allen Pressevertreter_innen wurde diese Story überwiegend stillschweigend übernommen.
Weite Teile der Presse sprechen davon, dass die Ausschreitungen Blockupy einen Bärendienst erwiesen hätten und die „Gewalt“ den „Inhalten“ geschadet habe. Wie nicht anders zu erwarten, sehen wir das entschieden anders. Diejenigen Pressevertreter_innen, die am lautesten über die Diskreditierung wichtiger Inhalte durch „Gewaltchaoten“ lamentierten, haben diese Diskreditierung selbst herbeigeschrieben. Sensationsjournalismus und Bilder von brennenden Barrikaden verkaufen sich schlicht und ergreifend gut. Doch nicht nur das. Hinzu kommt eine unterkomplexe Darstellung durch die Wiederholung der immer gleichen Bilder (zum Beispiel der brennenden Polizeiautos) oder des Sachverhalts Gewalt, ohne ihn in den sozialen und politischen Kontext von Blockupy einzubetten (was über den Tag hinaus geht). All das ist politisch zu bewerten. Denn es soll eins generieren: Spaltung, Angst und Ablehnung; auch bei denen, die solidarisch mit unserem Anliegen sind.
Es ist es außerdem nichts Neues, dass in der bundesdeutschen Presse oft nur dann von sozialen Aufständen und politisch motivierten Riots gesprochen wird, wenn das Ganze nicht vor der eigenen Haustür, sondern im Ausland passiert. Entsprechend anders sieht auch die internationale Presseschau zu den Geschehnissen des Tages aus. Der 18. März hat also nicht nur bundesweit, sondern international für Furore gesorgt. Dabei ist hervorzuheben, dass der herbeigeschriebene inhaltsleere Aufstand von „Chaot_innen“ bei Weitem nicht überall in der Form rezipiert, sondern gerade in internationalen Medien – inhaltlich richtig – als Anti-Austeritätsproteste dargestellt wurde.
Dass wir am 18. März so viel Aufmerksamkeit bekommen haben, liegt unserer Einschätzung nach, am Verlauf des Tages und dem Zusammenkommen der verschiedenen Formen politischen Handelns. Wir wollen mehr davon!
Freiheit entsteht als kämpfende Bewegung…
In den Tagen nach dem 18.03. haben viele um die politische Einordnung der Geschehnisse gestritten. Zwar hatte in der öffentlichen Debatte die sicherheitspolitische Dimension mit Forderungen nach einem verschärften Versammlungsrecht Überhang, sie konnte den politischen Ausdruck der Blockaden und der Demonstration jedoch nicht überlagern. Gerade in den Tagen direkt nach dem 18. schaffte es das Blockupy-Bündnis, die Deutungshoheit über die Ereignisse nicht nur den politischen Gegner_innen zu überlassen und die inhaltliche Dimension so immer wieder in die Debatte einzuführen. Mit unserer vorliegenden Einschätzung versuchen auch wir einerseits einen Teil dazu beizutragen und auf der anderen Seite eine inhaltliche und strategische Debatte innerhalb der Linken Deutschlands fortzuführen.
Egal auf welcher Ebene – öffentlich oder szenenintern – im Rückblick pauschalisierend davon zu sprechen, dass der 18. März ein politischer Erfolg beziehungsweise Misserfolg war, wie es so oft in den letzten Wochen die Runde gemacht hat, trifft unserer Meinung nicht den Kern der Sache.
Wichtiger für uns an dieser Stelle ist: der 18. März hat bewegt. Der Tag und seine Aktionen haben eine breite Öffentlichkeit erreicht und diese polarisiert. Mit 6 000 Aktivist_innen in den frühen Morgenstunden und 25 000 Demonstrant_innen am Spätnachmittag wurde ein Akt der radikalen Ablehnung der Verarmungspolitik von den momentan Herrschenden vollzogen. Mit diesem Akt der Ablehnung wurde gleichzeitig ein Zeichen der Solidarität gesetzt. Die Solidarität mit denjenigen, die Widerstand gegen die kapitalistische Krisenverwaltung und der von Deutschland vorangetriebenen Austeritätspolitik leisten und sich einer emanzipatorischen Projekt verschrieben haben, richtete sich auch gegen die soziale Kälte der Mehrheitsgesellschaft in der BRD, welche die Politik der Austerität mindestens billigt oder im nationalistischen Ton bejubelt.
Was wir zu dieser Diskussion beitragen wollen, ist, dass dieser Aktionstag und die gesamte Vor- und Nachbereitung uns zu erkennen gegeben hat, dass gemeinsam und solidarisch der Schritt von Protest zu Widerstand gelingen kann, und wir als Linke, entgegen der verhärteten Verhältnisse, handlungsfähig sein können. Dies macht Mut und hat für uns den Horizont des Möglichen verschoben. Es war ein Moment der gemeinsamen Ermutigung, der Spontanität und des Ausprobierens.
Als ein weiteres starkes Moment der am 18. März kulminierenden Akte von Protest und Widerstand sehen wir das produktive Zusammengehen verschiedenster emanzipatorischer Kämpfe. Es ist gerade die Heterogenität der beteiligten Gruppen und Einzelpersonen und ihrer Kämpfe die uns hoffnungsvoll stimmt und Potential für weitere Kämpfe/politische Auseinandersetzungen im Sinne einer emanzipatorischen Politik liefert. Finden doch sowohl antirassistische, feministische und antikapitalistische (und viele weitere) Kämpfe hier in den letzten Jahren immer wieder erneut zusammen. Und diese thematische Vielfalt – das Zusammengehen von streikenden Lohnarbeiter_innen, dem Anliegen von Refugees, dem feministischen Block, den Umwelt-Aktivist_innen, den antikapitalistischen bunten Fingern und den autonomen Kleingruppen – ist eine Stärke, an der festzuhalten ist. Es sollte Anlass bieten, auch in Zukunft sinnvoll strategisch zusammenzukommen, Schritte in diese Richtung der Vielfalt von Protest und Widerstand zu forcieren und die damit einhergehenden notwendigen Diskussionen und Verständigungsprozesse miteinander zu führen. Am 18. ist das teilweise geplant, teilweise mehr oder weniger unabgesprochen oder zufällig geschehen. Da gibt es noch viel strategisches Potential, welches es hervorzukehren gilt, ob für große Aktionstage oder die alltäglicheren Kämpfe. Wir sehen es deswegen auch als einen qualitativen Schritt nach vorne, dass so viele Genossen_innen aus den verschiedenen Ländern zusammen mit uns auf die Straße gegangen sind und wir auch da voneinander und miteinander Neues lernen und erleben konnten.
Doch die Freude darf den kritischen Blick nicht trüben. Auch wenn wir mit dem 18.03 eher das Bild wegrennender Bullen assoziieren, dürfen wir die Repression nicht vergessen. Denn es gab sie in rauen Mengen. Die Bullen haben Tränengas eingesetzt, viel gepfeffert und geknüppelt und Genoss*innen schwerste Verletzungen zugefügt – bis hin zur Spaltung der Schädeldecke von einer Aktivistin. Auch wenn es verhältnismäßig wenige Festnahmen gab, wurden einige Genoss*innen zur Personalienfeststellung genötigt, einige hundert Genoss*innen wurden mehrere Stunden gekesselt und ein Aktivist saß 3 Monate lang in U-Haft. Und es ist klar, dass die strafrechtliche Verfolgung von Aktivist*innen ein Thema der nächsten Jahre sein wird.
Auch wollen an dieser Stelle darauf hinweisen, dass Blockupy immer noch Anschluss für reaktionäre Spinner und verkürzte und Ressentiment geladene Kritiken darstellt. Deshalb gilt es auch hier, nicht still zu stehen, sondern in Bewegung zu bleiben, reaktionären Krisendeutungsansätzen auch in den eigenen Reihen und überhaupt zu entgegnen.
Außerdem gehen wir auch aus unserer Nachbereitung mit vielen offenen Fragen, Uneinigkeiten und Zweifeln. Wie kann es ein strategisches Zusammenkommen von Aktionen mit einem breit vereinbarten Aktionskonsens geben und Aktionen, die sich außerhalb des Aktionskonsens und sich somit oft ferner der Gesetzeslinien bewegen?
Mit Blick auf die Blockaden: Was wollte man? Und vor allem, was hat man am Ende mit den Fingern faktisch blockiert? Wie weit ist die Reichweite dessen, was am 18. März passiert ist?
Diese und viele weitere Fragen sind für uns noch ungelöst. Antworten können darauf wahrscheinlich nur in den kommenden Diskussionen und Praxen, in der gemeinsamen Reflexion und Aktion und emanzipatorischer Bewegungen gegeben und gefunden werden.
Last but not least, trotz des Fortbestands der beschissenen politischen Verhältnisse, hat der 18. März zumindest mit dem Narrativ der Alternativlosigkeit der Verhältnisse gebrochen. Wenn Teile Frankfurts (zugegebenermaßen nur für einen Tag) auf dem Kopf stehen und Tausende von Menschen die Frage Wie wollen wir leben? in unterschiedlichster Form zur Geltung bringen, zeigt dass vor allem eins: Die geradezu technokratische und undemokratische Elendsverwaltung der Herrschenden bleibt nicht unwidersprochen und die Sehnsucht nach einem anderen und besseren Leben lässt sich nicht mit Sparprogrammen wegrationalisieren. Getragen von den unterschiedlichsten Stimmen ist dies ein klares Nein! zu den momentanen Verhältnissen; in den verschiedenen Akten des kollektiven Widerstands, der Grenzübertretung und offensiver Militanz steckt aber auch ein Nein! zu den Regeln, Gesetzen und all den Bestimmungen und Begrenzungen denen ein_e jede_r von uns in den gegebenen Verhältnissen unterliegt.
Was bleibt ist die Einsicht, dass Kapitalismus als Gesellschaftsform unfähig ist, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Deshalb gilt es an diese Akte von Widerstand anzuknüpfen und sie auszubauen. Es bedarf ein ums andere Mal mehr eine entschlossene und solidarische transnationale Bewegung, um eine grundlegende und revolutionäre Umgestaltung für ein gutes und schönes Leben für Alle auf den Weg zu bringen! Der 18. März hat hierfür Anhaltspunkte und Inspiration geliefert; das kann aber nur einer von vielen Anfängen sein.
In diesem Sinne gilt es jetzt mehr denn je, dran zu bleiben und die Risse im Asphalt Stück für Stück auszuweiten – Let’s Crack Capitalism ! // Turn*Left, Frankfurt/ Main, August 2015