Castor Schottern – Für eine kommunistische Ökobewegung!

Anfang November 2010 soll ein Transport mit hochradioaktiven Brennelementen ins sog. „Endlager“ nach Gorleben rollen. Wie jedes Jahr wird eine große Anzahl Gruppen und Menschen versuchen das so schwer wie möglich zu machen. Dabei ruft ein breites Bündnis, das Unterstützung bis weit in „bürgerliche“ Kreise genießt, dazu auf, den Schotter aus den Gleisen, auf denen der Transport rollen soll, zu räumen, um den Transport so zu stoppen. Wir denken, dass es auch für diejenigen, die sich mit dem Thema bisher kaum beschäftigt haben und auf deren politischer Agenda die grundlegende Überwindung der bestehenden Gesellschaftsordnung steht, gute Gründe gibt, sich an den Protesten und besonders am Schottern zu beteiligen. Gleichzeitig lassen die ambivalenten politischen Tendenzen in der Ökobewegung es sinnvoll erscheinen in dieser eine materialistische Gesellschaftskritik zu stärken.

Offensichtliches …

Bei der sog. „Kernkraft“ handelt es sich um eine Technologie, die nie völlig zu kontrollieren sein wird. Die enormen Risiken, die auch von ihrer zivilen Variante ausgehen, sind spätestens seit dem verheerenden Unfall von Tschernobyl bekannt. Für Millionen Tonnen von Atommüll gibt es keine ernstzunehmende Variante der Entsorgung. Schon ohne jede gesellschaftskritische Perspektive müsste also jeder Mensch Atomkraft ablehnen, einfach aus einem ganz egoistischen Interesse an einem nicht verseuchten Leben.

Darüber hinaus verweist die Existenz dieser Technologie auf einige grundlegende Funktionsmechanismen dieser Gesellschaft. Die großzügige Verlängerung der Laufzeiten für die bundesdeutschen AKW hat den Zweck, es den Energiekonzernen zu ermöglichen aus alten Maschinen noch mehr Profit zu schlagen, das hat auch die bürgerliche Presse bemerkt. Die Interpretation dieser offensichtlichen Tatsache, welche auf die Boshaftigkeit, Dummheit oder Gier einflussreicher Manager rekurriert, ist zurückzuweisen. Stattdessen sind die übermächtigen sozialen Formen zu benennen, die deren Entscheidungen in ziemlich eindeutiger Art und Weise vorstrukturieren. Die Gesetze des kapitalistischen Marktes zwingen sie bei Strafe ihres Unterganges zur Maximierung ihrer Profite, und damit zur Durchsetzung der verlängerten Laufzeiten, so sie das denn gerade können.

…und grundlegende Widersprüche

Wenn in Gorleben jedes Jahr zehntausende Bullen den Castortransport durchknüppeln, wenn in der Asse das körperliche Wohlergehen von Generationen bedroht wird, wenn wie in Tschernobyl ganze Landstriche heute schon verseucht sind, dann ist das für uns ein besonders offensichtlicher Ausdruck der Tatsache, dass die (Energie-) Produktionsweise dieser Gesellschaft sich nicht an den Interessen der Menschen ausrichtet, sondern systematisch auf die Erwirtschaftung von Mehrwert ausgerichtet ist.

Der Eigenlogik dieser Produktionsweise sind die Bedürfnisse der Menschen niemals oberster Zweck, sie sind nur Mittel um ihren systematisch gesetzten Zweck, die Schöpfung von Mehrwert, zu erreichen. Menschliche Bedürfnisse und gesellschaftliche Produktion befinden sich daher in einem grundlegenden und tiefen Widerspruch. Gleichzeitig sind sie notwendig aufeinander angewiesen. Im Kapitalismus kann kein Produkt verkauft werden, wenn es nicht ein menschliches Bedürfnis (wie verdinglicht und beschädigt auch immer) befriedigt, und umgekehrt kann kaum ein materielles menschliches Bedürfnis befriedigt werden, wenn nicht bei seiner Produktion auch Mehrwert abgeschöpft wird. In der Warenform als Grundform des gesellschaftlichen Austauschprozesses finden wir diesen elementaren Widerspruch „in a Nutshell“, als den zwischen Tauschwert und Gebrauchswert, angelegt. Dieser setzt sich durch alle sozialen Formen der Gesellschaft hindurch fort. Es befinden sich Gebrauchswert und Tauschwert, lebendige Arbeit und abstrakte, sowie arbeitende und besitzende Klasse, in einem grundlegenden Widerspruch. Die verselbstständigte Dynamik des Akkumulationsprozesses gibt diesem und seinen Erfordernissen den Charakter eines übermächtigen, scheinbar natürlichen Vorgangs. Diese erzwingt eine beständige Anpassung des Gebrauchswerts, der lebendigen Arbeit und der sinnlichen Bedürfnisse der Produzent_innen an die Dynamik des Tauschwerts und die Institutionen, die diese organisieren und absichern: Staat und Markt. Das findet je nach Zeit und Ort mal mehr und mal weniger brutal statt, kann aber im Kapitalismus niemals endgültig still gestellt werden. Vor allem die großen und kleinen Krisen der Akkumulation, die notwendig und beständig auftreten, erzwingen immer wieder Veränderungen (technologischen Neuerungen, organisatorischen Effizienzsteigerungen, usw.) im Produktionsprozess. Und noch nach jeder von diesen systemimmanenten Umwälzungen müssen sich die Individuen der Produktionsweise aufs Neue anpassen.

Permanente Krisen…

Die Geschichte der kapitalistischen Produktionsweise ist eine Geschichte ihrer Krisen. Zu diesen Krisen kommt es beständig und notwendig, weil der kapitalistischen Produktionsweise eine selbstzerstörerische Tendenz innewohnt. Diese besteht auf der ökonomischen Ebene vor allem im Zwang immer effizienter zu produzieren und daher den Anteil der menschlichen Arbeit an der Produktion reduzieren zu müssen und gleichzeitig nur aus der Ausbeutung dieser Arbeit Mehrwert schöpfen zu können.

Der tendenziell, aber nicht gesetzmäßig folgende Fall der Profitrate und die zunehmenden Menge akkumulierten Kapitals setzt die Kapitale unter Druck sich neue Sphären der Akkumulation zu erschließen um ihr aufgehäuftes Kapital gewinnbringend investieren zu können. Gelingt dies nicht oder nur schleppend, kommt es zu einer sogenannten Überakkumulationskrise.

Doch es gibt so etwas wie eine allgemeine Dauerkrise des Kapitalismus auch noch auf einer grundlegenderen Ebene, und auch diese resultiert vor allem aus der Differenz zwischen den Interessen der Einzelkapitale und dem Interesse des Gesamtkapitals. Wenn die Zwänge der Akkumulationsdynamik (wie z.B., aber nicht nur, eine Überakkumulations-Krise) es fordern, versuchen Kapitale ihren Mehrwert auch mit brutaler Gewalt zu erwirtschaften. Unmenschliche Lebens- und Arbeitsverhältnisse, wie sie in vielen Ländern des globalen Südens heute üblich sind und in den letzten beiden Jahrhunderten auch in Europa üblich waren, zeigen das deutlich. Für die Betroffenen ist der Kapitalismus auch völlig unabhängig von konkreten Überakkumulations- und sonstigen ökonomischen Krisen eine permanente existenzielle Krise ihres Lebens.

Es gibt im Wesentlichen zwei Akteure, die die Kapitale davon abhalten können: bürgerlicher Staat und soziale Bewegungen. Und zwar einmal, weil der Raubbau an Mensch und Material den Erhalt der Produktionsweise insgesamt gefährdet. Oder weil die von den Verwerfungen betroffenen Individuen selbst gegen ihre Zurichtung aufbegehren. Das ist der Fall wenn z.B. mit Streiks bessere Arbeitsbedingungen erkämpft werden. Oft genug gingen beide Hand in Hand, konnten also z.B. soziale Bewegungen ihre Forderungen deshalb durchsetzen, weil sie deren Nützlichkeit für die Reproduktion des (nationalen) Gesamtkapitals betonten.

Die selbstzerstörerische Tendenz der kapitalistischen Produktionsweise trifft nicht nur die Menschen die in sie eingespannt sind, sondern mit ihnen auch die Umwelt, von der sie Teil sind, auf deren stofflicher Grundlage sie existieren, die sie bearbeiten müssen um sich reproduzieren zu können.

…und notwendige Widerstände….

Durch ihre beständige Wiederholung sind viele Arten der Anpassung an die Erfordernisse der abstrakten Logik des Tauschwerts den Individuen selbstverständlich geworden, sie erscheinen ihnen eben so unausweichlich wie physikalische Naturgesetze. Aber diese Anpassung produziert immer wieder auch Widerstände. Das kann die berühmte „Kippe auf dem Klo“ eben so sein wie der verzweifelte Angriff auf den/die Sachbearbeiter_in beim Arbeitsamt, die Lebensmittelaufstände im globalen Süden, wilde Streiks und illegalisierte Einwanderung, oder auch die Blockaden beim G-8 Gipfel. Aber sie entzünden sich nicht nur dort, wo sich die Individuen selbst direkt einpassen müssen, sondern auch dort, wo die Umgebung in der sie leben, als Teil der stofflichen Grundlage ihres Lebens, in veränderter Art und Weise eingepasst wird. Das kann die „Aufwertung“ eines Wohnviertels genauso sein, wie der Bau eines „Endlagers“ für hoch radioaktiven Atommüll.

Für alle diese Widerstände aber gilt, dass sie nicht notwendig eine emanzipative Stoßrichtung annehmen müssen. Nahe liegt auf der Basis verdinglichter Selbst- und Weltkonzepte vielmehr oft eine reaktionäre Tendenz. Häufig finden sich auch emanzipative und reaktionäre Tendenzen in einer zunächst schwer zu durchschauenden Mischung. Es gibt Kämpfe, deren reaktionärer Charakter so eindeutig ist, dass für die radikale Linke dort nichts zu gewinnen ist. Dennoch gilt gerade bei denen mit ambivalentem Charakter, dass dieser sich unter dem Einfluss oder Nichtverhalten der radikalen Linken oft signifikant verändert.

Der entscheidende Fortschritt wäre also gerade an den Orten, an denen die gesellschaftlichen Grundwidersprüche in offenen Konflikten zu Tage treten, diese auf den Begriff bringen zu können und die emanzipativen Anteile in den betreffenden Bewegungen zu stärken, denn: „Geschichte wird gemacht!“ Darum muss es auch beim Protest gegen den Castor gehen. Denn auch dieser ist ein Ort des Widerstands gegen die gewalttätige Anpassung der Welt an die Erfordernisse des Kapitalprozesses. Die Proteste sind so aktuell und notwendig wie das zu Grunde liegende Problem und eine radikal linke Intervention.

Notwendige Bearbeitung der Umwelt …

Das Problem liegt nicht in der Tatsache, dass es so etwas wie Bearbeitung und Veränderung der Umwelt durch den Menschen überhaupt gibt. Diese ist für jede Gesellschaft unumgänglich und die Befreiung vom unmittelbaren Naturzwang (Jagen, Sammeln, Ackerbau) vermittels (Hoch-) Technologie kann kein Mensch ernsthaft rückgängig machen wollen. Vielmehr müsste es doch gerade darum gehen diese den menschlichen Bedürfnissen gemäß einzusetzen und weiter zu entwickeln. Zu überwinden wären die gesellschaftlichen Mechanismen, die selbst schon wieder den Charakter scheinbar natürlicher Zwangsgesetze angenommen haben. Maßstab der Bearbeitung der stofflichen Umgebung innerhalb der befreiten Gesellschaft wäre gerade, dass der (Re-) Produktionsprozess in freier Assoziation und Vereinbarung und in für jede_n durchschaubarer Art und Weise organisiert wird. Antizivilisatorische Tendenzen, die in der Ökobewegung durchaus vorhanden sind, lehnen wir ab. Die Zwangsgesetze der Kapitalakkumulation durch den unmittelbaren Naturzwang ersetzen zu wollen ist nicht nur unmöglich, sondern reaktionär.

.und ihre Verteidigung

Wenn wir bei der Auseinandersetzung um den Castortransport in Gorleben aktiv werden, dann also nicht etwa um eine „unberührte Natur“ zu schützen. Für uns geht es um die Verteidigung der stofflichen Grundlage unseres Lebens und zu dieser gehören die Ökosysteme, von denen wir Teil und trotz Hochtechnologie abhängig sind. Diese ist auch um ihrer selbst willen völlig legitim und braucht nicht den Kommunismus als Fluchtpunkt der politischen Agenda. Wir verteidigen mit diesen Grundlagen des menschlichen Lebens aber auch dessen Potentiale und damit auch die Möglichkeit des Kommunismus. Zugespitzt gesprochen ist dieser auf einer ökologisch verwüsteten Erde nicht mehr vorstellbar. Mit allen nicht-reaktionären Gegner_innen der Atomenergie haben wir darum an deren Abschaffung ein gemeinsames Interesse, bei dessen Verfolgung wir sinnvollerweise zusammen arbeiten sollten.

Da bleibt der Hinweis darauf, dass die Kämpfe gegen Atomtechnologie den Kommunismus 2010 wohl noch nicht erkämpfen werden und ein Großteil der Kämpfenden diesen auch (noch?) nicht fordert, ziemlich farblos. Es gilt vielmehr überhaupt die Möglichkeit der „Assoziation freier Individuen“ zu verteidigen und zu bewerben. Für beides aber brauchen Kommunist_innen Bündnispartner_innen. Denn erstens werden sie alleine kaum eine Auseinandersetzung gewinnen können und zweitens werden sie sonst in den Auseinandersetzungen Keine_n treffen, dem/der sie ihre Vorstellungen näher bringen können.

„Natur“ als verdinglichter Begriff

Auch wenn die Verteidigung der stofflichen Grundlagen des menschlichen Lebens auch um ihrer selbst Willen und ohne fundamental gesellschaftskritische Perspektive legitim und die Zusammenarbeit mit solchen Kräften richtig ist, so bleibt es doch unumgänglich, sich mit den in der Ökobewegung an manchen Stellen vorhanden reaktionären Tendenzen auseinander zu setzen.

Die Vorstellung einer „unberührten Natur“ ist naiv, sie kann sogar gefährlich werden, wenn sie Teil eines verdinglichten Begriffs von „Natur“ ist. Hier wird sich „die Natur“ als etwas „Wahres“, „Gesundes“, „Gutes“, oder „Reines“, ein „höheres Prinzip“, vorgestellt, der die Moderne, der Mensch, oder die Kultur als das per se Zerstörende, Negative, Hässliche, eine Krankheit gar, gegenüber gestellt wird. Dieses Bild ignoriert, dass eine „unberührte Natur“ seit der Entstehung von menschlichen Gesellschaften nicht mehr existieren kann. Alle Kulturleistung basiert auf der Bearbeitung der stofflichen Umgebung, „Natur“ ist also Grundlage und Teil von „Kultur“. Wer an diesen beiden Begriffen festhält sollte sich der damit verbundenen Gefahr einer dichotomen Gegenüberstellung und damit verdinglichter Begriffsbildung bewusst sein. Dieses Bild ignoriert weiter, dass der Kampf der am besten Angepassten ums Überleben, das Prinzip der Evolution, ein mitunter brutales Prinzip ist, dessen Anblick in jedem zu Empathie fähigen Menschen Widerspruch erzeugen sollte und der Idee einer befreiten Gesellschaft spottet. Die Vorstellung von „Natur“ und Evolution als „Recht des Stärkeren“ basiert auf nichts Anderem als der Projektion kapitalistischer Konkurrenzverhältnisse auf „die Natur“.

Vor allem aber ignoriert dieses Bild die Tatsache, dass der brutale Raubbau an den Ökosystemen der Welt, der in den vergangenen Jahrhunderten begonnen hat und immer noch anhält, keineswegs aus „dem Menschen“ oder „der Gesellschaft“ als solcher resultiert. Er ist vielmehr Folge bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse, mithin einer bestimmten Produktionsweise, und kann damit potentiell überwunden werden. Vor allem aber ignoriert eine solche Vorstellung, dass die Möglichkeit der befreiten Gesellschaft eben nur aus der Kultur und dem geistigen und technischen Potential der Moderne erwächst.

Ein verdinglichter Begriff von „Natur“ ist auch deshalb gefährlich, weil er in die Nähe eines romantischen Idylls geraten kann, das auch Anknüpfungspunkte für rechte Ideen und Ideologien alà „Umweltschutz ist Heimatschutz“ bietet. Schon seit den Anfängen der modernen Ökologiebewegung im Rahmen der neuen Linken nach `68 haben daher rechte Gruppen und Personen eine Rolle gespielt, oder versucht zu spielen. Dieses gefährliche ideologische Einfallstor lässt sich leider nicht einfach schließen, denn die Bilder, Motive und Ideen, die Menschen zu Protesten bewegen, bringen sie aus ihrer Vergangenheit mit. Für uns geht es daher darum, die Kämpfe gegen die Zerstörung der uns umgebenden Ökosysteme und sonstige Verwüstungen des Kapitalprozesses auf andere ideelle Grundlagen zu stellen, für diese innerhalb der Bewegung Werbung zu machen, und jene, die wir für bedenklich halten, zu kritisieren.

Denn auch wenn an manchen Stellen in der Ökobewegung bedenkliche Ideen und Vorstellungen vorhanden sind, lässt sich nicht abstreiten, dass diese auch für emanzipatorische Kräfte zahlreiche Anknüpfungspunkte bietet. Diese bestehen nicht zuletzt darin, die sichtbar werdenden Konflikte auf die zunächst unsichtbar bleibenden systematischen Widersprüche zurückzuführen.

… und Perspektiven

So richtig und wichtig der Hinweis auf die braunen Flecken der grünen Ökologiebewegung ist, so darf nicht vergessen werden, dass in dieser in den letzten 40 Jahren immer auch zahlreiche radikal linke Kräfte präsent waren, Einfluss auf sie genommen und sie voran getrieben haben. Mehr noch, einige der stärksten und erfolgreichsten linksradikalen Mobilisierungen gelangen zu Auseinandersetzungen um ökologische Themen. Brokdorf, Wackersdorf, Startbahn West, Gorleben: Zehntausende, Hunderttausende haben protestiert oder sich aktiv widersetzt. Bei kaum einem anderen Thema klappte und klappt die Kooperation zwischen „friedlichen Bürgern“ und „militanten Autonomen“ so gut, sah und sieht sich der bürgerliche Staat genötigt so viele Bullen, so viel offensichtliche Gewalt, aufzubieten um sich durchzusetzen. Diese Kämpfe können Orte in einer Gesellschaft sein, an denen viele Menschen in Widerspruch zum Staat kommen, an denen die Identifikation mit eben diesem, als Garanten des eigenen Wohlergehens, ins Wanken gerät. Hieran lässt sich leicht das politische Potential dieser Kämpfe erkennen. Es gibt eine Geschichte linksradikaler Kämpfe gegen Atomtechnologie und es lohnt sich heute an diese anzuknüpfen. Welcher Ort böte sich dafür besser an als Gorleben, wo diese Kämpfe aktueller und stärker als sonst irgendwo in der BRD sind?

Risiko Atomenergie…

Zwar ist Atomstrom in der Logik des Kapitals ein Produkt wie jedes andere auch, und seiner Produktion liegt der übermächtige Zwang zur Akkumulation zugrunde, doch damit können die besonderen Gründe und Risiken, die der Atomenergie innewohnen, nicht gefasst werden.

Denn von der Produktion von Autos oder Zahnbürsten, die der abstrakten Logik des Kapitals zum Abschöpfen von Mehrwert tatsächlich ebenso lieb ist, unterscheidet Atomenergie doch einiges. Sie ist erstens mit deutlich größeren Risiken behaftet, zweitens hat sie eine wichtige Funktion für die staatliche Politik und drittens ist spätestens seid dem rot-grünen Versuch des kompletten Ausstiegs aus der Atomenergie klar geworden, dass alternative, regenerative Energiequellen, wie Windkraft und Solarenergie, durchaus in der Lage sind, die Energieversorgung der Länder zu tragen.

Auch Autos sind mit Risiken behaftet, die nie völlig zu kontrollieren sind, wie beispielsweise Verkehrsunfälle. Doch im Vergleich zu dem, was beim Größten Anzunehmenden Unfall in einem Atomkraftwerk passiert, sind das lächerliche Risiken. Die katastrophalen Folgen des GAU von Tschernobyl dürften allgemein bekannt sein. Und obwohl ein solcher Unfall statistisch nur alle paar Millionen Jahre passieren soll, dauerte es nur bis 1986. Und selbst wenn der Nächste noch sehr lange auf sich warten lassen sollte, wird die Welt mit dem bereits heute produzierten Atommüll noch Millionen Jahre Ärger haben. Gorleben ist genauso wenig ein „sicheres Endlager“ wie jeder andere Ort auch, es gibt schlicht und einfach kein ernstzunehmendes Konzept zur Entsorgung dieser Art von Abfall. Zu behaupten, Millionen Jahre in die Zukunft planen zu können ist lächerlich, der Salzstock Asse muss jetzt nach gerade einmal 30 Jahre wieder geräumt werden. Auch wenn sich über eine befreite Gesellschaft nicht viel sagen lässt, dass sie sich mit dem Atommüll heutiger Tage wird rumärgern müssen, erscheint derzeit leider sehr wahrscheinlich.

Die Stromversorgung ließe sich mit regenerativen Energien decken, es stellt sich die Frage warum hält trotzdem ein so großer Teil der politischen Klasse in der BRD am Atomstrom fest?

Die Konzerne, welche die Atomkraftwerke betreiben, gehören zu den größten in Deutschland. Sie sind einflussreiche gesellschaftliche Akteure und ihre Lobbyarbeit ist effizient organisiert. Die deutsche Wirtschaft und mit ihr der deutsche Staat sind von ihnen zu einem relevanten Teil abhängig. Desweiteren ist Atomtechnologie eine sogenannte Schlüsseltechnologie. Für den Exportweltmeister Deutschland erscheint es unumgänglich, zu den technologisch führenden Nationen zu gehören. Wer Hochtechnologie in alle Welt verkaufen möchte, glaubt zeigen zu müssen, dass er Atomenergie beherrscht. Atomtechnologie erscheint als ein Ausweis dafür, zu den einflussreichsten Nationen zu gehören. Für den größten Teil der politischen Klasse der BRD, die seit Jahren versucht zu mehr internationalem Einfluss zu gelangen, ist Atomkraft nicht zuletzt deshalb so attraktiv.

Institutionen…

Die Haltung der Parteien ist allerdings keineswegs einheitlich, die Grünen haben die Abschaffung der Atomkraft noch immer auf ihrer Agenda. Die Aufgabe des Staates ist, ganz allgemein gesprochen, die Widersprüche der Kapitalverwertung durch eine institutionelle Rahmung prozessierbar zu machen und soziale Auseinandersetzungen um die Widersprüche in diesen Rahmen zu überführen. Also mit Hilfe von Gesetzen, Verordnungen und Institutionen dafür zu sorgen, dass zwei Konkurrent_innen sich nicht mit körperlicher Gewalt bekämpfen, die Arbeiter_innen sich nicht nehmen was ihnen zusteht und Anwohner_innen von Atomkraftwerken diese nicht einfach dicht machen, sondern alle diese Konflikte „nach Recht und Gesetz“ ausgetragen werden.

Weil der Staat in dieser Funktion die materielle Verdichtung von Kräfteverhältnissen darstellt, finden eben auch die gesellschaftlichen Kräfte, die auf eine Abschaffung der Atomenergie drängen, in ihm ihren Ausdruck. Der prominenteste Teil davon ist sind die Grünen, die direkt aus der Öko-Bewegung hervor gegangen sind. Hier lässt sich mustergültig beobachten, wie der Staat mit sozialen Bewegungen umgeht. Entscheidend ist dabei immer, den radikalen Teil von der großen Masse zu trennen. Letzteren wird das Angebot gemacht sich an der Aushandlung der gesellschaftlichen Entwicklung in den Institutionen des Staates zu beteiligen, unter der Bedingung, dass sie dessen „Spielregeln“ anerkennen. Diejenigen, die sich der Produktion eines gesellschaftlichen Konsenses zu den Bedingungen des Staates verweigern, bekommen offenen Zwang zu spüren. Die alljährliche Polizeigewalt bei den Castortransporten ist eine Form davon.

…und Bewegungen

Die Geschichte der Ökobewegung zeigt deutlich, dass Spaltungsprozesse, bei dem ein Teil einer Bewegung integriert und der Andere isoliert wird, komplette Bewegungen schwächen und versanden lassen können. In dieser gespaltenen und integrierten Form sind sie in der Logik des Staats und des Kapitals nicht nur beherrschbar, sondern sogar nützlich, weil sie eine Modernisierung ihrer Herrschaft erlauben. Gefährlich werden sie dann, wenn sie erstens breit angelegt sind und sich zweitens nicht spalten und integrieren lassen. Dann nämlich funktioniert der Staat in seiner elementaren Funktion, gesellschaftliche Konflikte zu institutionalisieren, an einem Punkt nicht mehr. Solche Zustände, solche Punkte, die immer ein Wandeln auf einem schmalen Grat sein werden, zu schaffen, zu erhalten, zu vergrößern und zu vermehren muss daher unserer Ziel sein.

Verschlechterte Bedingungen…

Das gesellschaftliche Kräfteverhältnis hat sich in den letzten Jahrzehnten zu Ungunsten emanzipatorischer Strömungen verschoben. Spätestens seitdem es keinen Systemkonkurrenten mehr gibt, der Thesen wie Francis Fukuyamas „Ende der Geschichte“ als offensichtlichen Irrtum entlarvt, ist eine Perspektive jenseits des scheinbar natürlichen Kapitalprozesses immer schwerer zu denken.

Die neoliberale Hegemonie hat zwar hier und da Risse, blieb aber bisher leider ungebrochen. Sie lähmt alle kritischen Tendenzen mit beständigem Zwang zur Selbstoptimierung und der allgegenwärtigen Paranoia des Präventivstaates. Die radikale Linke ist in den letzten Jahren wieder im Aufwind, aber immer noch relativ schwach und marginalisiert. Auch die sozialen Bewegungen bleiben von dieser Situation nicht unbeeinflusst. Es muss heute darum gehen, sie selbstbewusster und offensiver zu gestalten. Davon könnte nicht zuletzt die radikale Linke profitieren und umgekehrt. Doch durch die Aufrüstung der Sicherheitsapparate wurden die Bedingungen emanzipatorischer Interventionen, die ein Überschreiten der von Seiten des Staates vorgegebenen Regeln zum Ziel haben, erschwert. Die Methoden zur Trennung von „berechtigtem, friedlichem Protest“ und „bösen Chaoten“ sind jahrzehntelang beständig optimiert worden. Dass die Technologien der „Crowd Control“ noch nie so gut funktioniert haben wie heute, lässt sich auf den meisten linken Demos par excellence beobachten.

….und veränderte Interventionsformen

In dieser Situation weist die Initiative zum Schottern genau in die richtige Richtung. Nachdem sich in den letzten Jahren gezeigt hat, dass es mit breiten Bündnissen möglich ist, Menschen massenhaft zu Sitzblockaden zu bewegen und damit beispielsweise den größten und wichtigsten Naziaufmarsch Europas zu verhindern, geht das Schottern einen Schritt weiter. Hier könnte für viele Menschen etwas denkbar werden, das sie sich bisher nicht getraut haben: die Gleise zu unterhöhlen, sie damit unbefahrbar zu machen und so aktiv zu verhindern, dass der Castor ins „Endlager“ rollt. Gemeinsam den Schritt vom Protest zum Widerstand zu gehen und dabei auch mal massenhaft Gesetze zu übertreten.

Der Widerstand gegen den Castor könnte damit für die Staatsmacht schwieriger zu kontrollieren werden. Die radikale Linke hat die Chance, eine große Zahl von Menschen mitzunehmen, (nicht zu verwechseln mit „abholen, wo sie stehen“) herunter vom staatlich vorgegebenen Feld der politischen Auseinandersetzung und dabei ihre derzeitige Isolierung und Marginalisierung punktuell zu überwinden. Vor wenigen Wochen hat die Bundesregierung mit der Atomwirtschaft großzügige Verlängerungen der Laufzeiten der bestehenden AKW vereinbart. Die Teile der Anti-Atom-Bewegung, die sich bisher noch der Illusion hingegeben hatten, mittels der Partei „Bündnis`90/ Die Grünen“ und des Staates die Atomenergie abschaffen zu können, sind jetzt eines Besseren belehrt worden. Und obwohl die schwarz-gelbe Bundesregierung von der Mehrheit der Wahlberechtigten gewählt worden ist, zeigen Umfragen eine breite Ablehnung der Atomkraft. Der Frust über den Atomkonsens scheint derzeit weit verbreitet. Der Widerstand im Wendland hat jahrzehntelange Tradition, die Spaltung zwischen „Friedlichen“ und „Gewaltbereiten“ funktioniert dort schlechter als bei den meisten Naziaufmärschen. Schottern ist deutlich mehr als zu sagen „Nein!“ und doch für fast jede_n praktizierbar.

Also los:

Unter dem Schotter liegt der Strand – auf nach Gorleben!

turn*left Frankfurt

Herbst 2010